Lucy von Barclay de Tolly – eine Muskauer Malerin
Regina Barufke
In Bad Muskau und der näheren Umgebung, aber auch bei Familien in Hamburg, Berlin und anderswo sieht man, meist an exponierter Stelle im Wohnzimmer, ein Gemälde der Malerin Lucy von Barclay de Tolly. Von Generation zu Generation werden ihre Bilder weitergegeben und kleine Geschichten über die Künstlerin erzählt, so dass ihr Name bis heute nicht in Vergessenheit geraten ist.
Im Jahr 1986 machte der Heimatverein von Bad Muskau in einer kleinen Schaufensterausstellung auf Lucy von Barclay de Tolly aufmerksam. Eine erste große Würdigung folgte anlässlich ihres 105. Geburtstags im Jahr 1991 in einer Ausstellung im Stadt- und Parkmuseum Bad Muskau, die durch Leihgaben aus privatem Besitz möglich wurde.
Auch wenn es durch ältere Muskauer Bürger persönliche Erinnerungen an diese Künstlerin gibt, ist doch das Wissen über das Leben von Lucy von Barclay de Tolly sehr überschaubar.
Im Kirchenbuch von Riga ist unter dem 19. Juli 1886 die Geburt von Lucy von Barclay de Tolly, Vater – Kaufmann Johann Hugo von Barclay de Tolly, Mutter – Ernestine Antonie geb. Graß, eingetragen.

Eintrag im Kirchenbuch der St. Petri Kirche zu Riga Historisches Staatsarchiv Riga
Über ihre Kindheit und Jugend, die sie wohl in Riga verbrachte, ist kaum etwas bekannt.
Das Stadt- und Parkmuseum bemühte sich 1991 durch eine Anfrage beim Historischen Staatsarchiv des Nationalen Archivs Lettlands, Näheres über die Herkunft der Malerin Lucy von Barclay de Tolly zu erfahren. Einen zweiten Versuch in Riga und auch beim Estnischen Reichsarchiv Tallin unternahm die Stiftung „Fürst-Pückler-Park Bad Muskau“ im Jahr 2011.
Das historische Staatsarchiv in Riga besitzt leider nur wenige Dokumente, stellte diese aber gern zur Verfügung. Es handelt sich dabei um den Eintrag in das Kirchenbuch, genealogische Nachweise der Familie Barclay und Inserate zur Hochzeit der Eltern.
Die aus Schottland stammende Familie Barclay ist seit dem 17. Jahrhundert in Riga ansässig. Den Adelstitel trägt die Familie erst seit dieser Zeit. August Wilhelm Barclay de Tolly, der Ururgroßvater von Lucy, wurde im September 1792 als Bürgermeister von Riga durch den damaligen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation - Franz II., in den Adelsstand erhoben. Der Grund dieser Adelung ist leider nicht überliefert.
Oft wird Lucy mit dem Fürsten Michail Andreas von Barclay de Tolly, geboren 1761 in Livland (heute: Lettland und Estland) in Verbindung gebracht. Er war russischer Feldmarschall und wurde am 20. Januar 1810 zum Kriegsminister ernannt. 1813 führte er die russische Armee bei der Völkerschlacht in Leipzig erfolgreich gegen die Truppen Napoleons. Soldaten verschiedener Nationen hatten in der Zeit des Rückzugs Napoleons aus Russland in Muskau Quartier genommen, unter ihnen auch etwa 25.000 Russen, unter denen sich wahrscheinlich auch Graf von Barclay de Tolly befand. Nach Beendigung des Krieges wurde er als Auszeichnung in den Fürstenstand erhoben. Er starb am 14. Mai 1818 bei Insterburg/ Ostpreußen. Aus den genealogischen Nachweisen ist ersichtlich, dass Fürst Michail der Cousin des Ururgroßvaters von Lucy von Barclay de Tolly war.
Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt verlegte die Familie von Johann Hugo von Barclay de Tolly ihren Wohnsitz nach Reval, heute Tallin. Dem dort ansässigen Archiv liegen leider keine Dokumente zum Aufenthalt der Familie Barclay de Tolly vor. Mit dem Zerfall des russischen Reiches erlangte Estland infolge der Befreiungskriege der baltischen Republiken von russischer Fremdherrschaft seine Unabhängigkeit. Es kam zu einer Massenflucht der deutschbaltischen Oberschicht. So verließ auch die Familie Barclay de Tolly ihre Heimat und kam schließlich um 1920 nach Muskau. Lange Zeit wurde angenommen, nur Mutter und Tochter hätten in Muskau gelebt. Alle im Zuge der Vorbereitung der Biografie befragten Zeitzeugen konnten sich nur an die zwei Frauen erinnern. Ein Adressbucheintrag von 1924, das unter „Muskau Burglehn“ Hugo von Barclay de Tolly benennt, war der erste Nachweis, dass auch der Vater die Heimat mit verlassen hatte.

Als Lucy von Barclay de Tolly 1914 an dieser Wohltätigkeitsveranstaltung teilnahm, war noch nicht zu ahnen, dass sie wenige Jahre später in Muskau selbst auf die Wohltätigkeit von Bürgern angewiesen sein würde.
Rigaer Rundschau, Nr. 230 aus dem Jahr 1914 Historisches Staatsarchiv Riga

Auszug aus dem Adressbuch von 1924
Original: Holger Klein, Bad Muskau
Das Adressbuch von 1933 benennt dann nur noch zwei Frauen, wobei Ernestine von Barclay de Tolly als Witwe ausgewiesen ist. Das Muskauer Standesamt konnte die noch fehlenden Daten beisteuern: Hugo von Barclay de Tolly, Administrator außer Dienst, geboren zu Riga am 10. Juli 1850, starb am 5. Juni 1929 in Muskau Burglehn.
Der Muskauer Wohnsitz der Familie Barclay de Tolly befand sich in der Villa Bellevue im Badepark. Da dieses Gebäude zur Gemeinde Burglehn gehörte, zu der alle gräflich Arnimschen Gebäude zählten, ist anzunehmen, dass die Familie seit ihrer Ankunft in Muskau Kontakt zur Familie von Arnim hatte und von Graf Adolf Unterkunft und Hilfe erhielt.

Villa Bellevue, 1939
Sammlung Stadt- und Parkmuseum

Tennisplatz der Familie Arnim hinter dem Kavalierhaus. Auch Lucy von Barclay, die auf dem Foto möglicherweise abgebildet ist, spielte hier Tennis; oft gegen Gräfin
Alexandra von Arnim. Eine Muskauerin erinnert sich, dass
Kinder aus Muskau das Ballholen übernehmen durften.
Aus: Fotoalbum der Familie Graf von Arnim
Ernestine, die Mutter von Lucy, fühlte sich durch den „…Verlust der Heimat und sämtlichen Eigentums und der gänzlichen Verarmung“ veranlasst, 1923 einen kleinen Band mit Gedichten und Versen, die sie in Riga gesammelt hatte, unter dem Titel „Freud und Leid in schwerer Zeit“ zu veröffentlichen.
Die Finanzierung des Lebensunterhalts gestaltete sich für die beiden Frauen sehr schwierig: Die Mutter gab Klavierunterricht, die Tochter unterrichtete Muskauer Kinder auf dem Tennisplatz im Hermannsbad im Tennisspiel und verdiente vor allem durch die Malerei etwas Geld.

Muskauer Anzeiger Nr. 146 vom 10. Dezember 1931
Original: Werner Holzhausen, Bad Muskau

Lucy von Barclay de Tolly in Muskau, 1942
Sammlung Stadt- und Parkmuseum
Liebevoll beschreibt ein ehemaliger Muskauer Bürger 1992 in einem Brief an das Muskauer Museum seine Erinnerungen an Lucy von Barclay de Tolly: „Bis zu meinem 12. Lebensjahr habe ich in der Villa Schönblick [Bellevue] in unmittelbarer Nähe von ihr gewohnt. Sie war für mich „Tante Lu“, und ich war sehr oft in ihrer kleinen Wohnung, die immer nach Ölfarbe roch und mit Bildern vollgestellt war. An ihre Mutter kann ich mich nur dunkel erinnern, von ihrem Vater weiß ich gar nichts ... So ist mir nur die Erinnerung an eine sehr stattliche Frau, die immer eine lange Kette trug und ein rollendes „R“ ihres Baltendeutsch sprach, geblieben.“ (Dr. Dohmann, Berlin 1992) Ihre Motive wählte Lucy überwiegend im Muskauer Park. Das bekannteste Bild ist die „Eiche am Eichsee“, von den Besitzern des Gemäldes auch „Der Eichsee“ oder „Steinbank am Eichsee“ benannt. Werner Manno, einst Apotheker und Heimatforscher meinte:
„… das Motiv malte sie wohl schon im Schlaf“.

Eiche am Eichsee
Sammlung Stadt- und Parkmuseum
Schon die Ausstellung im Jahr 1991 verdeutlichte, dass das Schaffen von Lucy viel umfangreicher war – markante Sichten und Gebäude im Muskauer Park und in der Stadt, Landschaften an der Neiße und am Braunsteich bei Weißwasser sowie viele Blumenmotive wurden von ihr in verschiedenen Techniken umgesetzt. Meist malte sie in Öl auf Pappe und nur ausnahmsweise auf Leinwand. Es gibt aber auch Gouachen und Arbeiten in Tempera. Ihre Werke sind unterschiedlich signiert: Lucy von Barclay, Lu von Barclay, BT, L.v.B. Daneben existieren viele Arbeiten ohne Signatur. Ihre Bilder verkaufte Lucy von Barclay de Tolly an Muskauer Bürger und in der näheren Umgebung.

Anzeige in Fremdenführer durch Stadt und Park Muskau, 1926
Sammlung Stadt- und Parkmuseum
Gelegentlich erhielt sie Aufträge von Gastwirten und Kaufleuten. Vor allem nach dem Krieg bestand die Bezahlung oft in Lebensmitteln. Selbst Vasen und Schalen aus Ton, teilweise gefertigt in der Töpferei Waldemar Lehmann in Töpferstedt, Glasvasen, Stühle und Tische, sogar Ostereier verzierte sie mit der für sie typischen Blumenmalerei. Seit Neuestem ist außerdem bekannt, dass ein von Lucy bemalter Bauernschrank in Weißwasser existiert.
Eine besondere Rarität aus dem Betätigungsfeld von Lucy von Barclay de Tolly bewahrt die Tochter des Muskauer Kaufmanns Friedrich Lange auf: Die vom Vater für sie gefertigten Puppenmöbel wurden einzeln und aufwendig von der Künstlerin bemalt – ein Dankeschön der in einfachen Verhältnissen lebenden Malerin für die ihr entgegengebrachte Hilfe. Lucy von Barclay wurde auch in das gesellschaftliche Leben von Muskau einbezogen. Nur noch wenige vorhandene Fotos belegen dies.
Hilde Graf, die Tochter des Töpfereibesitzers Lehmann erinnert sich, als wäre es erst gestern gewesen: Irgendjemand erzählte ihr – es war Ende der 30er Jahre – dass es in Muskau eine Künstlerin gibt, die gut malen könne und auch Keramik bemalt. So machte sich Hilde mit einigen Vasen und Krügen auf den Weg nach Muskau in die Villa Bellevue, um zu fragen, ob Frau von Barclay bereit wäre, diese Gefäße zu bemalen, und was es denn kosten solle.
„Ach, was soll es kosten… – besser wäre es Sie bringen mir dafür Vasen und Krüge aus Ihrer Töpferei zum Tausch. Die kann ich dann bemalen und verkaufen – da ist uns beiden geholfen“, so die Antwort der Künstlerin. Hilde kam zu einem vereinbarten Termin zurück und brachte weitere Keramiken aus der elterlichen Töpferei mit. Frau Barclay war begeistert. Die für die Töpferei bemalten Krüge fanden ihren Platz im Wohnzimmer und in Hildes Stube.
In der Folgezeit wurden mehrfach Waren getauscht. Hilde Graf meint: „Die Sachen sahen toll aus, mit Mohnblumen drauf. Die muss sie gut verkauft haben, denn sie bekam etliche von uns“. Sogar Sonderformen, auch glasierte Keramik, die in Kapseln gebrannt wurde, fertigte die Töpferei für Lucy von Barclay de Tolly. Die Künstlerin holte die Ware teils auch selbst in Töpferstedt ab. Sie bezahlte mit bemalten Krügen und auch einmal mit einem Ölbild, das sie in Töpferstedt vom idyllisch gelegenen Grubensee der Grube Pauline gemalt hatte. Leider ging das Bild zum Ende des Zweiten Weltkrieges verloren.
(Aufgeschrieben und übermittelt durch Holger Klein, Mitglied des Freundeskreises Historica Bad Muskau e.V.)

Lucy von Barclay de Tolly inmitten des Muskauer Musikvereins, Sommer 1933
Original: Familie Hubatsch, Bad Muskau
Im Februar 1945 mussten Lucy und ihre Mutter, wie alle Muskauer Einwohner, vor dem Beginn der Kampfhandlungen die Stadt verlassen. Bei ihrer Rückkehr war vermutlich die Wohnung in der Villa Bellevue bereits durch Flüchtlinge belegt, woraufhin beide eine Bleibe im „Haus Wolter“ in der Schmelzstraße 34 fanden.

Am 13. November 1945 verstarb die Mutter und wurde auf dem Burglehnfriedhof beigesetzt. Die selbständige Gemeinde Burglehn hatte einen eigenen Friedhof, der sich hinter dem Berg‘schen Friedhof befand.
Lucy lebte fortan in äußerst ärmlichen Verhältnissen und war auf die Fürsorge Muskauer Familien angewiesen, denn mit Malerei war in dieser schwierigen Zeit kaum Geld zu verdienen. Dr. Hans Halter aus Berlin beschrieb im April 2011 eine sehr traurige Erinnerung:
Blick vom Kapellenberg auf das Wohnhaus Schmelzstraße 34
Original: Holger Klein, Bad Muskau
Eines Tages, es war der harte Winter 1946/47, kam Tante Lu, wie wir sie nur nannten, zu meiner Mutter und fragte, ob sie eine Glühbirne bekommen könnte. Ihre letzte wäre eben kaputt gegangen, und sie kann im Dunkeln doch nicht malen. Da schraubte unsere Mutter, die in diesen schlechten Zeiten selbst keine Reserve mehr hatte, kurzerhand die Glühbirne in unserem Kinderzimmer heraus und gab sie ihr.
Nun saßen wir Kinder im Dunkeln. Nur gut, dass unser Bruder eine alte Karbidlampe organisierte. So hatten wir in diesem Winter wenigstens etwas Licht.
(Aufgeschrieben und übermittelt durch Holger Klein)
Aquarelle mit Blumenmotiven, die 1946 entstanden, gehören möglicherweise zu den letzten Arbeiten des malerischen Schaffens von Lucy von Barclay de Tolly.
Im Alter von 61 Jahren verstarb die Künstlerin in der Wohnung in der Schmelzstraße. Ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem Burglehnfriedhof. Auf Wunsch der Malerin wurde sie vom damaligen Friedhofsgärtner Ernst Sureck im Grab der Mutter beigesetzt – die letzte Beerdigung auf diesem Friedhof, der nach der kurz darauf erfolgten Eingemeindung Burglehns zur Stadt Muskau aufgelassen wurde. Nachdem vermutlich im Jahr 1967 die Grabsteine beseitigt wurden, erfolgte in den darauffolgenden Jahren die Einebnung und die Einbeziehung der Flächen in den Bergpark.
In Erinnerung an die Malerin Lucy von Barclay de Tolly ließ der Freundeskreis des Stadt- und Parkmuseums, heute Freundeskreis Historica Bad Muskau e.V., 1994 eine Gedenktafel an der Kapelle auf dem Bergschen Friedhof anbringen.
Eine Aufarbeitung des Gesamtschaffens der Malerin Lucy von Barclay de Tolly wurde 2011 in einem Buch gleichen Titels gemeinsam durch die Stiftung „Fürst-Pückler-Park Bad Muskau“ und den Freundeskreis Historica Bad Muskau e.V. vorgenommen. Lucy von Barclay de Tolly ist in keinem Künstlerlexikon zu finden. Es ist zu vermuten, dass sie in Riga oder Tallin eine Kunstschule besuchte. Nachweise liegen jedoch nicht vor. Ihre Bekanntheit zu Lebzeiten ging nicht über den Raum Muskau hinaus. Mit ihrer Landschaftsmalerei hat sie die Schönheit des Muskauer Parks und der näheren Umgebung im Bild festgehalten und lebt in ihren Kunstwerken noch heute fort. Weit über 100 unterschiedliche Arbeiten sind erhalten geblieben und konnten im Zuge der Recherche zum Buch und zur Ausstellung 2011 wiederentdeckt werden.
Der Beitrag ist eine überarbeitete Fassung der Biografie aus dem Buch
Lucy von Barclay de Tolly- Eine Muskauer Malerin, das noch weitere Beiträge enthält:
- Die Werke von Lucy von Barclay de Tolly als Geschichtsquelle für den Muskauer Park
- Bilder aus dem Schaffen der Malerin von 1920 bis 1947

Gedenktafel an der Kapelle auf dem Bergschen Friedhof
Foto: Bernd Quint, 2011